100 Tage selbstständig - oder die Wiederentdeckung der Achterbahn
von Michael Pertek am
Im Februar 2023 haben wir die Diselva AG - kurz diselva gegründet. Eine Gruppe aus zehn erfahrenen Digital Experten, die sich gemeinsam und euphorisch auf den Weg in die Selbstständigkeit gemacht haben, um Kunden durch die Digitale Transformation zu führen. Vielleicht ist ein Unternehmen gründen, auch ein klein wenig mit Kinder bekommen zu vergleichen. Es braucht eine ordentliche Portion positive Naivität, um sich auf das lohnenswerte Abenteuer einzulassen - ohne vorher genau zu wissen, was dies wirklich bedeutet. Aber kurz gesagt: Es lohnt sich!
Nach den ersten 100 Tagen erlaube ich mir ein erstes, dankbares Resumee zu ziehen - die Euphorie ist nicht vergangen. Auch wenn ich glaubte, mit gut 25 Jahren Berufserfahrung und Unternehmensführung schon einiges gesehen zu haben, sind viele neue Gedanken und Perspektiven entstanden, was rückblickend wenig überraschend ist.
Es fühlt sich richtig an
Es fühlt sich wunderbar an, selbstständig zu sein. Eigene - richtige - Entscheidungen zu treffen und mit den richtigen Menschen zusammenarbeiten zu dürfen, die anpacken, das Richtige tun. Für Kunden das Richtige zu tun, ohne sinnlose KPIs erfüllen zu müssen. Zuhören, verstehen - und das Richtige daraus machen - auch mal “nein” sagen.
Aber was ist denn richtig? Richtig ist das, was sich für mich gut anfühlt. Was mit meinem Werte- und Kulturverständnis in Einklang ist - und das ist der grosse, unbezahlte - pardon unbezahlbare - Gewinn der Selbstständigkeit. Jeden Morgen aufzustehen und mit Freude zur Arbeit zu gehen - ein “big hairy audacious goal” zu haben, welches mich über Jahre begleitet.
Es macht mich schon ein wenig stolz, nach 100 Tagen zurückschauen zu dürfen und zu sehen, dass gemeinsam etwas geschaffen wurde. Marktauftritt, Serviceportfolio, Strukturen, ad hoc Einsätze, Kundenbeziehungen und die ersten erfolgreichen Projekte. Selbstständig sein bedeutet, eigene Entscheidungen treffen zu müssen und sich aus der Komfortzone herausbewegen und Risiken einzugehen. Aber eben auch die gebotenen Chancen nutzen zu dürfen und diese weiterzuentwickeln. Das Beste - alle zehn sind noch an Board und Kunden freuen sich uns zu sehen, wir lachen viel und die grossen Sorgen werden schnell durch die wichtigen Dinge des Berufslebens, wie Auswahl der richtigen Kaffeebohnen und Philosophien der Mülltrennung abgelöst.
Achterbahn der Gefühle
Aus grösseren Unternehmen kommend, entwickelt sich mit der Zeit auch ein wenig mehr Distanz zu Arbeit, Inhalt, Kunden und Ergebnissen. Erfolg und Misserfolg glätten sich über grosse Zahlen (Umsatz, Anzahl Kunden, Anzahl Mitarbeitende, etc.) und ein gesundes Mass an Anonymität und Delegation von Verantwortung.
Zu zehnt, mit neun Gleichgesinnten ist es anders. Es ist intensiver. Jedes Ereignis schlägt knallhart wie ein Meteorit ein. Jeder kleine Erfolg lässt das Herz höher schlagen und vermittelt einem das Gefühl, auf dem richtigen (da ist es schon wieder) Weg zu sein. Alle haben ihren Teil dazu beigetragen, alle fühlen sich als Sieger und die Welt scheint nicht gross genug zu sein.
Jeder Misserfolg, jede Verschiebung (wie kann auch gerade in unserer Gründungsphase die CS solche Disruptionen auslösen), jede Verzögerung und Absage führen einen direkt ins Tal der Tränen. Zweifel an der Entscheidung, Unsicherheit über die eigenen Fähigkeiten, Sorge um die Existenz und das eigene Versagen - wären da nicht neun andere und ein Netzwerk, welches sich über fast 20 Jahre fast unsichtbar zusammengesponnen hat. Der Zuspruch, die Aufmunterung, die Chance wieder zu pitchen, zu offerieren, intensive Gespräche über Ausrichtung, USP und Lieferfähigkeiten zu sprechen, neue Gelegenheiten zu bekommen und als diselva Gründer gemeinsam zu leiden und zu feiern und sich jeden Tag neu aufzubauen und sich gegenseitig zu vergewissern - das Richtige zu tun.
Es ist wie eine Achterbahnfahrt, die nicht enden will. Aber das Adrenalin, die grandiose Aussicht auf der höchsten Kuppe und das Kribbeln im Bauch kompensieren die rasanten, aber zum Glück endlichen Talfahrten und erzeugen ein Gefühl, tatsächlich jeden Tag mit Freude und einem Lächeln zur Arbeit gehen zu dürfen. Es ist mir wirklich eine besondere Freude, diesen Schritt mit diselva gehen zu dürfen und einzigartige Erfahrungen sammeln zu können.
Träumerei, Werte und Erkenntnisse
Der Traum der Selbstständigkeit und der eigenen Firma ist Wirklichkeit geworden. Die Werte bilden das unumstössliche Fundament, verdienen aber alleine kein Geld - leider. Selbstbestimmt mit offenen Augen und Ohren durch die Welt zu gehen hilft ungemein Erkenntnisse zu gewinnen, die manchmal banal, manchmal überraschend, meist erhellend aber immer erklärend sind. Wir sind in der komfortablen Situation bei Kunden auf Interesse, Wertschätzung und breites Verständnis unseres Angebotes zu treffen - dies verbunden mit der Notwendigkeit, in der Digitalen Transformation konsequent Schritte vorwärts zu machen, ist eine äussert gewinnbringende Mischung.
Wenn eine Unternehmung ohne eigene Legacy - wie diselva - an den Start geht und dadurch ein hohes Mass an Flexibilität, Einsatzbereitschaft und Kooperationswillen hat, verändert sich die Perspektive auf mancherlei Themen doch gewaltig. Im zweiten Teil meiner Blogserie zu den ersten 100 Tagen werde ich über unsere "Business Insides" sprechen: Fachkräftemangel, Maturität in der Digitalisierung und die Herausforderungen, agil und schnell in Unternehmen Projekte realisieren zu können - oder anders gesagt “warum es doch nicht alles so glatt läuft, wie gewünscht…”.